03 Grosse regionale Unterschiede bei medizinischen Wahleingriffen in der Schweiz

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Medizinische Wahleingriffe bezeichnen Operationen, die nicht zwingend notwendig wären. In der Schweiz zeigen sich teilweise grosse regionale und zeitliche Unterschiede bezüglich der Häufigkeit bestimmter Wahleingriffe sowie der gewählten Operationstechniken. Diese Unterschiede sind vermutlich oft auf die persönlichen Präferenzen der behandelnden Ärztinnen und Ärzte zurückzuführen.

  • Projektbeschrieb (abgeschlossenes Forschungsprojekt)

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    Auf Basis der medizinischen Spitalstatistik wurden mittels epidemiologischer Methoden Schweizer Spitalregionen gebildet. Anschliessend wurde für 15 Wahleingriffe statistisch analysiert, wie sich deren Häufigkeit regional und im Verlauf der Zeit unterschieden. Einbezogen wurden auch neuere und umstrittene Eingriffe wie der Verschluss der Öffnung zwischen rechter und linker Herzvorhofscheidewand nach einem Hirnschlag. Diese Daten wurden mit weiteren Spitaldaten sowie Daten der Schweizerischen Ärztegesellschaft verknüpft. Mittels Regressionsmodellen wurden sozioökonomische, gesundheitsbezogene, regionale und angebotsgetriebene Einflussfaktoren auf regionale Unterschiede in der Durchführung von Wahleingriffen untersucht. Grössere Unterschiede, insbesondere bei umstrittenen Eingriffen, wiesen dabei auf eine mögliche Überversorgung hin.

  • Hintergrund / Ausgangslage

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    Ein Viertel der Schweizer Gesundheitskosten betreffen Wahleingriffe, das heisst nicht zwingend notwendige Operationen. Bezüglich der Häufigkeit und Technik bestimmter Eingriffe wie beispielsweise Zementinjektionen in Wirbelkörperbrüche, Einsetzen von Knie- und Hüftprothesen oder gewisse invasive Eingriffe am Herzen bestehen grosse regionale Unterschiede. Die Unterschiede weisen darauf hin, dass wohl nicht in erster Linie medizinische Gründe, sondern Faktoren wie der Patientenwunsch oder die persönliche Präferenz der Ärztinnen und Ärzte für die Eingriffe ausschlaggebend sind. Die Einführung der Fallpauschalen in der Schweiz bot nun die Möglichkeit, anhand qualitativ guter Daten regionale Unterschiede bei stationären Eingriffen sowie mögliche Einflussfaktoren zu untersuchen.

  • Ziele

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    Ziel der Studie war es, basierend auf Fallpauschaldaten zeitliche und räumliche Unterschiede bei der Durchführung von stationären Wahleingriffen in der Schweiz zu identifizieren und allfällige Unterschiede zu erklären.

  • Resultate

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    Die Daten der Jahre 2013 bis 2018 zeigten, dass in einzelnen Spitalregionen 17 mal häufiger Zement bei Wirbelkörperbrüchen eingespritzt und siebenmal häufiger Herzschrittmacher und Defibrillatoren eingepflanzt wurden als in anderen Regionen. In einzelnen Regionen wurden zwei- bis dreimal häufiger die Prostata operiert, Hüft- und Kniegelenksprothesen eingesetzt und die Gebärmutter entfernt. Eine Zunahme über die Zeit konnte beispielsweise für das Einspritzen von Zement bei Wirbelkörperbrüchen und eine Abnahme für die Gebärmutterentfernung beobachtet werden. Bei der Gebärmutterentfernung zeigten sich zudem grössere Unterschiede bei der gewählten operativen Technik. Die regionalen Unterschiede konnten nur teilweise durch Faktoren wie Alter, Geschlecht, sozioökonomische Faktoren oder Begleiterkrankungen erklärt werden. Der grössere Teil der Unterschiede ist mutmasslich durch persönliche Präferenzen der behandelnden Ärztinnen und Ärzte zu erklären.​​​

  • Bedeutung / Anwendung

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    Bedeutung der Resultate für die Forschung und Praxis

    Die vorliegende Studie zeigt bedeutende regionale Unterschiede in der Häufigkeit der Durchführung von einzelnen Wahleingriffen auf. Diese können grösstenteils nicht mit Patientencharakteristika oder sozioökonomischen Faktoren erklärt werden. Zudem erscheint es unwahrscheinlich, dass sich die medizinischen Bedürfnisse oder Vorlieben der Patientinnen und Patienten wesentlich zwischen den Regionen unterscheiden. In vielen Fällen dürften die persönlichen Präferenzen der behandelnden Ärztinnen und Ärzte ausschlaggebend sein, ob ein bestimmter Wahleingriff durchgeführt wird oder nicht. Abhilfe schaffen könnten medizinische Richtlinien sowie Patienteninformationen, die Entscheidungshilfen beinhalten, wann ein Eingriff angebracht ist. Die in der Studie eingesetzte Methodik bildet eine geeignete Grundlage, um regionale Trends in der Gesundheitsversorgung im Rahmen eines künftigen Schweizer Gesundheitsatlasses zu verfolgen.

  • Originaltitel

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    Variations in preference-sensitive care and controversial medical procedures in Switzerland